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Selbsttest für Schmerzpatienten
Österreichische Schmerzpatienten vom Gesundheitssystem vergessen?
Der nachfolgende Beitrag erschien im September 2019 im Rahmen einer Sonderbeilage von Mediaplanet zum Thema „Schmerz“ für die Tageszeitung DER STANDARD.
Täglich – 365 Tage im Jahr, Schmerzen zu haben – das kann sich wohl niemand auch nur annähernd vorstellen, der dies nicht selbst durchlebt. Sicher, Schmerz ist ein subjektives Empfinden und jeder Mensch erlebt Schmerz anders. Manche Menschen werden damit leichter fertig als andere und können auch mehr „aushalten“, sind belastbarer und vielleicht auch „dickhäutiger“. Von Susanne Fiala, Selbsthilfegruppe Schmerz
Entwicklungsland Österreich: multimodale Schmerztherapie in Österreich nicht existent
Es ist sehr individuell, wie jeder Mensch mit Schmerzen bzw. Problemen generell, umgeht. Das hängt auch nie nur von einem Faktor ab, sondern hier spielen sehr viele Faktoren eine Rolle. Aber für viele dieser Menschen ist jeder Tag ein Kampf, der schon mit erheblichen Schwierigkeiten beim Aufstehen beginnt. Sehr mühsam ist es, wenn man sich jeden Tag „zusammenreißen“ und „funktionieren“ muss, um nur die notwendigsten, alltäglichen Dinge erledigen zu können. Man kann und will auch den Partner, die Familie und Freunde nicht ständig mit seinen Problemen und Ängsten belasten, – das erfordert aber neben sehr viel Disziplin auch viel Anstrengung – und – es macht sehr einsam, wenn man nicht darüber reden will oder kann. Trotzdem, es ist für Partner und Freunde nur schwer zu ertragen, da sie nicht helfen können – darum versuchen wir auch, sie damit nach Möglichkeit nicht zu oft zu konfrontieren. Manchmal ist es ohnehin unvermeidlich. Wir sprechen deshalb nicht viel darüber, sondern versuchen alleine, so gut es geht, damit fertig zu werden. Viele Patienten haben mir erzählt, dass sie „niemanden mit ihren Problemen auf die Nerven gehen wollen“, was natürlich sehr leicht der Fall sein kann. Wer will schon ständig über Krankheiten reden bzw. sich diese Probleme anhören (müssen)? Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass Partnerschaften daran zerbrechen können und auch Freunde mit der Zeit ausbleiben.
Alltag
Wenn man Treffen vereinbart und sie dann wegen zu starker Schmerzen doch wieder absagen muss, wenn jeder Kino- Theater- oder Konzertbesuch von der Angst im Vorfeld schon überschattet ist, dass gerade dann wieder ein „schlimmer“ Tag sein könnte und wir – wieder einmal – absagen müssen. Oder, wir wegen der starken Schmerzen – schweißgebadet – dann doch diesen Anlass wahrnehmen, aber leider nur wenig genießen können – obwohl wir uns schon so lange darauf gefreut hatten! Wir wollen doch auch nur ein bisschen Normalität in unserem Leben! Wir bemühen uns deshalb sehr, dass man uns nicht gleich ansieht, wie schlecht es uns geht – weil wir kein Mitleid wollen – und – wir wollen auch nicht in ein Spiegelbild sehen, vor dem sogar wir selbst zurückschrecken. Wir wollen nicht den Eindruck eines leidenden Menschen erwecken, obwohl wir das natürlich sind. Dass sich aber Menschen, Ärzte selbstverständlich nicht ausgenommen, meist schon nach dem ersten Eindruck ein Urteil bilden, ist bekannt und hat leider nicht selten zur Folge, dass wir auf sie daher nicht glaubwürdig wirken! Selbst, wenn wir deutlich sagen, dass wir starke Schmerzen haben!. Der zweifelnde Blick des Arztes bedarf keiner Worte! Wenn er dann noch betont, dass wir aber „gut“ aussehen, dann wissen wir auch, was das bedeutet. Kompliment ist es sicher keines… Was müssen wir denn tun, bzw. WIE müssen wir aussehen und uns verhalten, damit man uns glaubt? Damit man uns glaubt, dass wir ständig, jeden Tag, Schmerzen haben und wir Hilfe benötigen? Reicht es nicht, dies deutlich zu sagen? Leider, nein…wir müssten Schmerzen beweisen können!! In einer von uns initiierten Umfrage unter Patienten wurde mit Abstand als größter Wunsch angeführt, dass Ärzte Patienten besser zuhören und vor allem, ihnen auch glauben – sie ernst nehmen sollten!!
Die Schmerzphasen
Viele von uns haben Phasen, in denen die Schmerzen so heftig sind, dass sie nicht mehr leben wollen, nämlich, dann, wenn die Schmerzmittel nicht ausreichend wirken und uns auch die Angst vor der Zukunft fest im Griff hat – man nur noch hofft, dass dieser Tag irgendwie vorübergeht und der nächste Tag dann wieder ein – wenigstens etwas – besserer Tag sein wird. In dieser verzweifelten Situation fühlt man sich unglaublich einsam und alleingelassen, denn mit wem kann man über diese Gefühle und Ängste reden? Doch nur mit jemanden, der diese Situation auch kennt und genau weiß, wie gut es tut, wenn man all diese Gefühle und Ängste aussprechen oder auch niederschreiben kann. Hier kann eine Selbsthilfegruppe, eine Gruppe selbst betroffene Menschen, helfen. Hier können Patienten einander zuhören, weil sie verstehen, weil sie diese Situationen auch ganz genau kennen. Die guten Ratschläge von „Fachleuten“, doch Musik zu hören oder ein gutes Buch zu lesen…sind wohl gut gemeint, aber es ist unmöglich, sich zu konzentrieren wenn man starke Schmerzen hat. Der Schmerz beherrscht oft uns – leider nicht umgekehrt.
Wir freuen uns schon über die kleinen Dinge: wenn wir ein paar Tage etwas weniger Schmerzen haben, wenn die Schmerzen erträglich sind. Wir erwarten von den verantwortlichen politischen Stellen bzw. Ärzten doch nichts Unmögliches: wir wollen nur etwas, was doch gerade in Österreich selbstverständlich sein sollte: eine adäquate multimodale Schmerztherapie als Kassenleistung mit annehmbaren, akzeptablen Wartezeiten. In einem hochentwickelten, reichen Land wie Österreich ist das aber offenbar nicht möglich?? Hier werden Organe verpflanzt und Gliedmaßen wieder angenäht – aber Schmerzen kann man nicht ausreichend behandeln? Wie Fr. Folkes von der Allianz chronischer Schmerz in ihrem Kommentar geschrieben hat, gibt es leider die von Ärzten immer wieder als einzig längerfristig hilfreiche Therapieform empfohlene „multimodale Schmerztherapie“ in Österreich gar nicht! Dabei wäre es dazu doch nur nötig, dass Ärzte verschiedener Fachrichtungen, zusammenarbeiten, nichts anderes bedeutet das doch? Wie auch von Fr. Folkes geschrieben, gibt es kaum Fach-Ärzte mit Kassenvertrag, Schmerztherapie wird fast ausschließlich von Wahlärzten angeboten. Wir können uns diese Honorare aber nicht leisten, schon gar nicht über längere Zeiträume hinweg, wie dies notwendig wäre. Dazu kommt noch die notwendige Physio- und Psychotherapie, die ebenfalls kaum als Kassenleistung zu erhalten ist. Wartezeiten für Psychotherapien betragen mindestens einige Monate, ebenso Termine in einer der wenigen Schmerzambulanzen.
Abgesehen davon, dass auch diese Ambulanzen nicht unseren Bedürfnissen entsprechen weil auch sie nicht an unsere Bedürfnisse angepasst wurden. Auch dort bekommt man keine Physio- Psycho oder gar „multimodale Therapie“ angeboten! Was nützen die guten Ratschläge in sämtlichen Patientenratgebern, wenn man sich diese Therapien nicht leisten kann? Wenn man Kassenleistungen in Anspruch nehmen will bzw. muss, hat man monate-oder jahrelange Wartezeiten zu akzeptieren, wenn man überhaupt die Bewilligung dazu erhält. .“Kognitive Verhaltenstherapie“ klingt gut, wäre sicher nötig um mit Schmerzen umgehen zu lernen, aber: leider auch hier sind keine Therapieplätze vorhanden ….
Schmerz ist für uns leider schon etwas, was „man“ ertragen muss, jeden Tag aufs Neue! – auch wenn im Patientenratgeber der ÖSG steht, dass heute kein Mensch Schmerzen ertragen muss und die Empfehlung gegeben wird „sich rasch Hilfe zu suchen“ – dann klingt das mehr als zynisch. Die Wartezeit bei einem Kassenarzt beträgt mehrere Wochen oder Monate, ebenso in einer der wenigen Schmerzambulanzen – und die immer wieder empfohlene „multimodale Schmerztherapie“, gibt es in Österreich, wie erwähnt, gar nicht! Warum ist man nicht so ehrlich und sagt das auch? Und – dass ein chronischer Schmerzpatient –auch trotz Behandlung – kaum je wieder schmerzfrei sein wird?! Ärzte GLAUBEN – schon nach dem ersten kurzen Gespräch – zu wissen, wie es uns geht und was wir benötigen! Aber, wir WISSEN es und wir WISSEN auch ganz genau, welche Bedürfnisse wir haben! Man müsste uns nur fragen!