Offener Brief an die Gesundheitsministerin

Am 7. Juni 2016 erging folgender Brief an BM Dr. Sabine Oberhauser:

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Oberhauser,

mit großer Verwunderung haben wir – die Österreichische Schmerzgesellschaft und VertreterInnen der Patientenorganisation „Allianz Chronischer Schmerz“ Ihr Interview am Freitag im Kurier gelesen.  Sie haben sich darin zur Situation der Schmerztherapie in Österreich geäußert, offensichtlich sehen Sie die Schließung von Schmerzambulanzen in den Spitälern nicht als Problem an.  Ihrer Ansicht nach kann eine interdisziplinäre Schmerztherapie stationär oder bei  niedergelassenen ÄrztInnenn stattfinden.  Dazu möchten wir folgende  Stellungnahme abgeben:

Am Beispiel Wien: Im gesamten Krankenanstaltenverbund und im AKH Wien existieren keine Betten, die speziell für Schmerzpatienten zur Verfügung stehen, obwohl sie von Seiten der ÄrztInnen seit Jahren gefordert werden. Benötigten SchmerzpatientInnen eine stationäre Aufnahme, muss ein „Gastbett“ auf irgendeiner Station mit viel Mühe, Zeitaufwand und Nachdruck organisiert werden. Da eine stationäre Behandlung stets mit höheren Kosten verbunden ist, als eine qualifizierte ambulante Versorgung, ist dies auch nur in begründeten Ausnahmefällen möglich. Trotzdem landen immer mehr SchmerzpatientInnen in stationärer Behandlung, weil weder im niedergelassenen Bereich, noch ambulant entsprechende Versorgungsstrukturen existieren.

Im niedergelassenen Bereich gibt es kaum KassenärztInnen mit Schmerzdiplom, bzw. existiert in Österreich bis heute keine Zusatzqualifikation, wie es in Deutschland seit fast 20 Jahren der Fall ist.  Schmerztherapeutische Leistungen werden von den Kassen auch nicht entsprechend honoriert oder finden sich erst gar nicht im Leistungskatalog. Eine differenzierte Schmerztherapie, mit einem ausführlichen Anamnesegespräch, das alle bio-psychosozialen Aspekte einer chronischen Schmerzerkrankung beinhaltet – kann sich ein niedergelassener Arzt kaum leisten. Dafür zahlen Krankenkassen pro Jahr  Millionenbeträge für Infiltrations- und Infusionstherapien, werden unnötige Röntgen- und MRT- Untersuchungen durchgeführt. Eine dringend nötige psychologische Begleitung  „auf Kasse“ ist selten möglich. Es ist nahezu unmöglich, eine Psychologin/einen Psychologen mit Kassenplätzen und Erfahrung in der Behandlung von chronischen SchmerzpatientInnen oder Traumatherapie zu finden. Eine zeitnahe interdisziplinäre Therapie und Diagnostik finden Sie außerhalb des Spitals höchstens bei WahlärztInnen, dort allerdings wird auch so manche Therapie und Operation angeboten, die keine wissenschaftliche Evidenz haben, aber die Kassen klingeln lässt. Es fehlen hier auch entsprechende Qualitätskriterien!

Übrig bleibt der Patient – zumeist auf einem jahrelangen Leidensweg durch das System mit hohen direkten und indirekten Krankheitskosten. In Österreich dauert es für SchmerzpatientInnen durchschnittlich 1,7 Jahre bis zur richtigen Diagnose und 1,9 Jahre bis zur richtigen Therapie. Währenddessen werden bei zahlreichen Besuchen bei Ärzten und Therapeuten viele mehr oder weniger sinnvolle Leistungen konsumiert.. Würde man diese PatientInnen rasch, qualifiziert und

interdisziplinär behandeln, würde man den Betroffenen sehr viel Leid und dem Gesundheits- und Sozialsystem sehr viel Geld ersparen. Wir hoffen sehr, dass Sie nur schlecht beraten und informiert wurden, denn Ihre Aussage in diesem Interview klänge sonst in unseren Ohren wie purer Zynismus.

Wir würden Sie ersuchen, sich mit der gegenwärtigen Situation der chronischen SchmerzpatientInnen in Österreich vertraut zu machen und sich andere europäische Länder zum Vorbild zu nehmen. Wie es etwa Belgien innerhalb eines Jahres geschafft hat, einen Versorgungsauftrag zu erstellen und landesweite Strukturen zur Versorgung von SchmerzpatientInnen zu implementieren.

Im April 2015 wurde im Parlament beschlossen, eine Bundesqualitätsleitlinie für Schmerztherapie zu erstellen. Bis Mai 2016 ist jedoch nichts passiert. Wäre es nicht auch in Österreich möglich eine flächendeckende und abgestufte Versorgungsstruktur für SchmerzpatientInnen zu schaffen, wie es in anderen europäischen Ländern längst der Fall ist?

Diese Frage stellen Ihnen die ÄrztInnen und Ärzte, die seit vielen Jahren in der Schmerzmedizin tätig sind, sowie die VertreterInnen der Selbsthilfegruppen, die den kontinuierlichen Niedergang der Versorgungsstrukturen und das Leid der PatientInnen täglich erleben.

Mit freundlichen Grüßen

OA Dr. Wolfgang Jaksch                                                                              Dkfm. Erika Folkes

Präsident der Österr. Schmerzgesellschaft                         Sprecherin Allianz Chronischer Schmerz

 

Wir warten auf Antwort und werden Sie auf dem Laufenden halten!